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Tröster in zu großen Schuhen

Tröster in zu großen Schuhen

Da liegt sie. Ganz still, ganz stumm. Ulrich Fey blickt ihr lange ins Gesicht. Dann ist er wieder in seiner Rolle. Mit der roten Nase, dem geschminkten Gesicht und den großen Schuhen setzt er sich zu der alten Dame und beginnt für sie zu singen. Niemand sonst ist im Raum. Dieser Auftritt ist ein Abschied. Denn die Frau, die da neben ihm im Bett liegt, ist vor einer Stunde gestorben. Clown Albert – so heißt Feys Seniorenheim-Charakter – berührt sie, spricht mit ihr und verlässt dann das Zimmer.
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Psyche, Geist und Körper im Einklang: Noch nie in seinem Leben war er so ganz und gar bei einer Sache wie jetzt. Ulrich Fey ist Clown – mit Leidenschaft und aus tiefster Überzeugung. Hier spricht er über Mut, Klischees, Bestimmung und eine gefährliche Redewendung.

„Natürlich darf ich auch Mal traurig sein“, sagt Ulrich Fey. Der Clown an sich sei nicht witzig, die Dinge, die er tut, schon. Bei seinen Auftritten in Kinderkliniken oder Seniorenheimen versuche er, sich einzufühlen. Doch gelte stets: „Mitfühlen ja, mitleiden nein“. Denn ein depressiver Clown helfe niemanden. Als Clowndoktor mache er lediglich Angebote. Angebote, sich unterhalten, ablenken zu lassen.

Diese Freiwilligkeit bei all seinem Tun betont Fey immer wieder. Denn gerade bei der Tätigkeit im Krankenhaus sei die Selbstbestimmtheit der kleinen Patient*innen das Wichtigste. „Kinder werden dort dauernd verletzt. Sie werden mit Nadeln gestochen und sollen Anweisungen befolgen. Je kleiner sie sind, desto schwerer verstehen sie das“, erklärt Fey. Vor allem, wenn Mama und Papa dieses Verletzen erlauben. Dann komme zur schmerzhaften Behandlung auch noch das Gefühl des Verrats durch die Eltern.

Die Clowndoktoren würden in den meisten Fällen von den Kindern als willkommene Abwechslung zum Klinikalltag wahrgenommen, meint Fey. „Wir fragen immer, ob wir etwas dürfen oder eben nicht“. Manchmal würden die Kinder auch extra „Nein“ sagen, nur um zu testen, ob auf das Wort des Clowns auch wirklich Verlass ist. „In der Klinik fungieren wir als eine Art Puffer“, erklärt Fey.

DIE CLOWN DOKTOREN verstehen sich als Kameraden, die „ihre“ kleinen Patient*innen beim Genesungsprozess begleiten und unterstützen. Das herausgerissen Werden aus der Normalität ihres Alltags löst bei Kindern oft Traurigkeit und Angst aus. Durch die spielerische Betreuung der Clown-Doktoren, die stets in enger Abstimmung mit dem medizinischen Pflegepersonal der Klinik ihre Visiten machen, wird dem Krankenhausaufenthalt etwas von seiner Ernsthaftigkeit und dem Stress dort genommen. Seit 2009 besuchen die Clowns auch regelmäßig Menschen in Senioren- und Pflegeheimen.

Dass Ulrich Fey nun seine Bestimmung als „Dr. Schlau-Schlau“ gefunden hat, ist für den Friedberger eine logische Entwicklung. Das Lehramtsstudium schloss er erfolgreich ab, doch nach dem Referendariat gab es keine Stellen. Das passte aber letztlich. „In der Schule arbeitest du mit Kindern und Jugendlichen, die oft keine Lust dazu haben.“ Schließlich wurde er Sportredakteur in Frankfurt. Dem Journalismus ist er bis heute treu geblieben, aber nicht mehr in der stressigen Form eines Redaktionsalltags. „Da war ich grenzwertig gefordert und hatte die Magengeschwüre und den Herzinfarkt bereits vor Augen.“ Schon während seiner Zeit bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hatte sich Fey mit der Clownerie beschäftigt. 1996 besuchte er dann die Clownsschule in Hannover. Den endgültigen Schritt in Richtung Kleinkünstlertum hat er bis heute nicht bereut. „Meinen Körper, meinen Geist und meine Psyche: Das erste Mal in meinem Leben fordert mich etwas ganz und gar.“ Elementar für alles sei die Freude an der Sache.

„In Deutschland heißt es immer: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Ich halte diesen Satz nicht nur für falsch, sondern für gefährlich“, sagt Fey. Er habe andere Prioritäten in seinem Leben und mache es auf jeden Fall genau andersrum. Aber wie kann man wissen, was gut ist, was guttut? Laut Fey gibt es dafür nur eine Antwort: Ausprobieren. „Völlig egal, ob Sie nun Briefmarken sammeln, in einer Kneipe arbeiten oder Clown sein wollen – Sie müssen es ausprobieren“.

Bei der Clownerie habe es für Fey eben gepasst, bei anderen Sachen nicht: „Ich habe jetzt mal Golf ausprobiert, weil ich immer gerne Feldhockey gespielt habe. Ich habe aber gemerkt, dass mir das nicht soviel gibt. Das ist okay. Ich muss das ja nicht machen.“

Und Herr Fey, was kann Sie in Ihrem Clownsalltag noch überraschen? „Ganz ehrlich: Wenn nichts Neues mehr kommen könnte, würde ich sofort damit aufhören. Alles was ich mache, ist improvisiert. Von daher ist sowieso alles immer wieder anders und neu.“

 

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